Gastspiel

Kommunikation zwischen Schiedsrichter und sonstigen Beteiligten des Fußballspiels

von Volker Lemke

Kapitel 3 – Das Senden der Botschaft

Schon beim Senden müssen Fehler vermieden werden. Das gesprochene Wort macht nur einen kleinen Teil der Informationsübertragung aus. Andere Aspekte wiegen schwerer, sind für das Verstehen der Botschaft sogar entscheidend. Nur 7% der Botschaft beruht auf verbaler Kommunikation (Sprache)[26], während der Rest, Körpersprache[27] (55%) und »parasprachliche Mitteilung« (38%), also nonverbale Kommunikation[28], ist. Körpersprache[29] meint die äußere Erscheinung (unrasiert, zerknitterte Kleidung, Alkoholfahne), die Haltung (gerade/gebückte Haltung, Körperspannung) und die Gestik[30] (z.B verlegenes Hinter-dem-Ohr-kratzen usw.) und Mimik (Lächeln, Trauermine). Alle körpersprachlichen Signale werden (bewusst oder unbewusst) aufgenommen. »Para-Sprache« beschreibt die stimmlichen Aspekte der Sprache, d.h. Betonung, Lautstärke, Stimmlage, Sprechgeschwindigkeit[31]. Auch solche Signale kommen beim Empfänger an: Wer nur »nuschelt«, wird kaum verstanden – das gilt auch für uns Schiedsrichter.

Zum Thema Körpersprache passt die Erkenntnis, dass in der Psychologie zwei Typen beschrieben werden: Einmal der »Hoffnung-auf-Erfolg-Typ«[32], der sich aktiv einsetzt und ein Problem dadurch zu lösen versucht, dass er selbst agiert und die Richtung bestimmt, zum anderen den »Furcht-vor-Misserfolg-Typ«, der sich abwendet, weil er Angst hat, dass etwas schief gehen könnte. Sicher wird der »Hoffnung-auf-Erfolg-Typ« besser verstanden. Wir Schiedsrichter sollten desalb bewusst körpersprachlich handeln, indem man dem Spieler z. B. bei der Verkündung persönlicher Strafen in die Augen schaut und dadurch signalisiert, dass man den Konflikt nicht scheut, Herr der Lage ist. Es hilft, durch eine laute (nicht: schreien) und deutliche Sprache klar zu machen, dass man sich seiner Entscheidung sicher ist.

Wesentlich ist die Erkenntnis, dass jede Kommunikation auf zwei Ebenen abläuft, nämlich der Inhalts- oder Sachebene einerseits und auf der Beziehungsebene (= psychosoziale Ebene) andererseits, wobei die Beziehungsebene[33] für das Verstehen der Botschaft von wesentlicher Bedeutung ist. Optimal senden kann eine Botschaft daher nur der, der die Beziehungsebene schon hier berücksichtigt. Das nachfolgend gezeigte sog. Eisbergmodell, das »Nachrichtenquadrat« und das Schema vom »vierohrigen Empfänger«[34] erklären insoweit die Abläufe der Kommunikation auch bildlich.


Kommunikation Schiedsrichter (Fußball) – 1


Der Empfänger der Botschaft muss vier Aspekte verarbeiten:

Kommunikation Schiedsrichter (Fußball) – 3


Kommunikation Schiedsrichter (Fußball) – 2


Beispiel: Ein Ehepaar fährt zum Einkaufen und sie hält an der »grünen« Ampel. Er sagt: »Es ist grün«. Im Grunde eine wertfreie Info: Die Ampel ist grün. Die Theorie vom vierohrigen Empfänger erklärt, dass über die Sachebene hinaus (immer!) drei weitere Aspekte wirken. Nämlich die Appellfunktion: »Gib Gas«, die Beziehungsfunktion: »Du kannst nicht Autofahren« und die Selbstoffenbarung des Senders: »Ich kann es besser«. Die Ehefrau verarbeitet alle Aspekte. Wie sie die Nachricht versteht, hängt deshalb z. B. von der Sprechweise ab. Ein »Die Ampel ist grüühüün«, ein »Scheibenwischer« (Gestik/Mimik), besonders aber Erfahrungen spielen eine Rolle. Wenn er schon in der Vergangenheit ungeduldig auf ihre Fahrweise reagiert hat, wird sie seine heutige Aussage entsprechend verstehen. Nach dem Motto: »Beim letzten Mal hat er mich doch auch angemeckert, als ich nicht sofort losgefahren bin«. Und selbst dann, wenn er das Ganze heute rein sachlich meint, weiß sie noch vom letzten »Zwischenstopp«, was er davon hält. Prompt lautet ihre Antwort: »Dann fahr Du doch, wenn Du es besser kannst«. Das belastet dann wiederum sein Beziehungskonto (usw.). Schöner Einkauf!

Und: Jede Belastung der Beziehungsebene (hervorgerufen oder verstärkt durch jede Art negativer Kritik[35] und jeden Angriff auf den Gesprächspartner) führt zu einem sog. »psychologischen Nebel«, zu einem »Nicht-OK-Gefühl«, das die Kommunikation erschwert.

Das, was im »normalen« Leben gilt[36], ist auch auf dem Platz so. Entscheidend für eine »gute« Kommunikation des Schiedsrichters ist deshalb die Erkenntnis der Wichtigkeit der Beziehungsebene. Wir können uns dieses Wissen nutzbar machen und haben dann nicht nur die Chance, richtig zu senden, sondern auch, die an uns gerichteten Botschaften »richtig« zu verstehen.

Beispiel: Der Schiedsrichter pfeift eine Mannschaft, die er schon kennt. Zuletzt hat er sich viel gefallen lassen, was ihm vorgehalten wurde[37]. Das Beziehungskonto des Schiedsrichters ist deshalb bereits negativ belastet. Deshalb: Vorsicht bei der Beurteilung der aktuellen Situation! Es ist nämlich erwiesen, dass man dazu neigt, neue Informationen den schon vorhandenen Erfahrungen anzupassen, diese mit der Erfahrung in Einklang zu bringen. Schief läuft die Sache, wenn Folgendes passiert: In der zweiten Minute des Spiels beschwert sich der Spieler leicht über eine Entscheidung des Schiedsrichters und kassiert sofort die gelbe Karte. Das Beziehungskonto beim Trainer und beim Spieler wird dadurch negativ belastet (»total überzogen«). Alle nachfolgenden Entscheidungen werden wegen des belasteten Beziehungskontos möglicherweise falsch verstanden; es kann deshalb(!) zur Eskalation kommen. Wäre der Schiedsrichter sich der Relevanz der Beziehungsebene bewusst gewesen, hätte er es vielleicht geschafft, seine Erfahrung (der Spieler ist ein Querulant) auszublenden und die Situation so zu beurteilen, wie sie sich tatsächlich darstellte, nämlich als nicht strafwürdige Reklamation. Dann hätte es gereicht, dem Spieler im Vorbeigehen zu sagen, dass das Reklamieren nicht geduldet wird. Dreht der Spieler dann gleichwohl auf, kann ihm der Schiedsrichter »die Gelbe« geben, was dann(!) vom Trainer wohl eher nicht als überzogen angesehen würde.

Wichtig ist aber, dass immer die regelkonforme Entscheidung ergehen muss. Was Rot ist, muss Rot bleiben! Hier gibt es kein »Fingerspitzengefühl«[38] . Man darf das Ganze also nicht missverstehen: Der Schiedsrichter muss »schmerzliche« Entscheidungen treffen. Sieht er ein Foul im Strafraum, muss er auf Strafstoß pfeifen. Natürlich wird dadurch das Beziehungskonto der betreffenden Mannschaft belastet.

Was das Senden von Botschaften anbelangt, können wir deshalb versuchen, die Beziehungsebene möglichst nicht zu belasten und auf der Sachebene zu senden[39]. Also keine sog. Killerphrasen verwenden wie: »Sie sind ein alter Rüpel und werden sich nie ändern«. Nicht: »Der Strafstoß muss wiederholt werden, weil Ihre Mitspieler halt zu dumm sind, zu früh in den Strafraum gelaufen sind«, sondern: »Ich habe gesehen, dass Ihre Mitspieler zu früh in den Strafraum gelaufen sind; deshalb muss ich den Strafstoß wiederholen lassen«[40].